KOMPETENZMESSUNGEN?

Existiert ein Schulleben jenseits der Kompetenzmessungen? Ein Statement von Florian Cristóbal Klenk zum Projekt „Doppelleben“

Vergleichbar dem Pisa-Schock des Jahres 2001 wird in der Bundesrepublik Deutschland nun erneut intensiv darüber diskutiert, wieso und weshalb Schüler*innen in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen das bis dato schlechteste Ergebnis in diesem internationalen Leistungsvergleich erreichten. Ein weiteres Mal konterkarieren die Befunde der Pisa-Studie (2023) das Selbstbild einer Nation, die sich, zumindest formal, der Bildung verpflichtet weiß und gerne als das Volk der Dichter und Denker – wenngleich nicht der Dichter*innen und Denker*innen, wie es jüngst die Debatten um das Verbot gendersensibler Schreibweisen an Schulen offenbaren, – versteht.

Während die Pisa-Studien Schüler*innen in ihrer Funktion als potenzielle Leistungsträger*innen der Gesellschaft adressieren, fragt das Projekt „Doppelleben“ danach, was eine Schule jenseits von Kompetenzmessung sein kann? Während Migrationserfahrungen, die Corona-Pandemie, außerdem die soziale Herkunft der Eltern, das Geschlecht oder der Stand der Digitalisierung an den jeweiligen Schulen in der Diskussion der Pisa-Ergebnisse als hauptsächliche Erklärungen für Defizitbeschreibungen herangezogen werden, nimmt das Projekt „Doppelleben“ diese und weitere Differenzerfahrungen zum Anlass, um mit (außer-)schulischen Akteur*innen in Videoportraits ins Gespräch zu kommen. Es wird darüber gesprochen, was es bedeuten kann, Fluchterfahrungen gemacht zu haben, Home-Schooling zu erleben, arm in einem reichen Land zu sein oder mit Youtube ohne W-LAN in der Schule zu unterrichten. Jenseits quantifizierbarer Testverfahren macht dieses Projekt multiple Wissensformen, darunter Erfahrenes und Erlebtes, jedoch auch Erzähltes und Erforschtes sowohl in als auch aus dem Raum Schule zum Gegenstand der Reflexion.

Indem das Projekt die Perspektiven von Schüler*innen, Lehrkräften, aber auch Influencer*innen und Wissenschaftler*innen in ihrer Vielfalt dokumentiert und als gleichwertige Stimmen nebeneinanderstellt, trägt es zur einer Demokratisierung im Schuldiskurs bei, da es auf diese Weise tradierte Hierarchien, wie jene zwischen Lehrkräften und Schüler*innen, Gebildeten und Auszubildenden, Forschenden und Beforschten, Theorie und Praxis, unterbricht. Vor diesem Hintergrund stellen die 24 Videoportraits einerseits ein in Raum und Zeit situiertes Zeugnis von dem dar, was Schule – trotz aller Kritik an ihr – bereits heute ist. Indem die Videoportraits wiederum an Schulen eingesetzt werden, fungieren diese andererseits ebenso als didaktische Impulsgeber, die dazu anregen, dialogisch darüber nachzudenken, was Schule – jenseits von Noten und Abschlüssen – in Zukunft sein kann!

Dr. Florian Cristóbal Klenk
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Technische Universität Darmstadt
Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik an der TU Darmstadt
Arbeitsbereiche: Schulpädagogik im Kontext von Heterogenität und Praxislabor

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